Unter dieser Devise, die bündig den Standort des Künstlers und den Ideengehalt seiner Kunst angibt, zeigte das Landesmuseum in Linz vor einigen Monaten eine Gesamtschau der jüngsten Werke des Malers Rudolf Pühringer. Aus den anlässlich der Eröffnung gehaltenen Reden war auch ersichtlich, dass die Aussteller dieser Bilder im vollen Bewusstsein der darin verwirklichten, wesenhaften geistigen Aussage der Öffentlichkeit zugänglich machten. 

Es ist ein langer Weg, über den Pühringer nach 25 Jahren wieder zur Malerei zurückgefunden hat. In den Jahren 1919-1923 hatte er bereits mit Erfolg im Wiener Künstlerhaus ausgestellt, zog sich dann aber unbefriedigt von der eigenen Leistung, wie auch von den Zielsetzungen des allgemeinen Kunstbetriebes von der Malerei zurück. Mitbestimmend für diesen Verzicht war die Überzeugung Pühringers, dass der Künstler der sittlichen Aufgabe der Kunst nur dann gerecht zu werden vermag, wenn er in der Lage ist, ohne Rücksicht auf materiellen Erfolg zu schaffen. Da Pühringer diese materielle Unabhängigkeit fehlte, wandte er sich dem Studium der Kunstgeschichte zu, dissertierte mit einer grundlegenden Arbeit über die romanische Baukunst in Österreich, absolvierte gleichzeitig das österreichische Institut für Geschichtsforschung, trat in den Museumsdienst ein und wurde später Leiter der Kunstsammlungen des Heeresmuseums in Wien.

Unter dem Eindruck der tiefen, im zweiten Weltkrieg erlebten Erschütterungen zog sich Pühringer nach Kriegsende in seine oberösterreichische Heimat zurück. Dort entstand nun aus neuer innerer Notwendigkeit heraus in angespannter Arbeit eine Reihe von Bildern, die sich dem geheimen Gesetz schöpferischen Impulses folgend zur Konzeption eines 15 Gemälde umfassenden Zyklus ausweiteten. Dieser Zyklus soll die Erde, wie sie uns in der Landschaft konkret vor Augen tritt, als Gestalt gewordenen Ausdruck der ewigen Gesetze der Natur, und die sich darin verwirklichenden kosmischen Kräfte zur Darstellung bringen. Hier werden also die Erscheinungsformen der Natur im Ablauf der Tages und Jahreszeiten, bei Sonne, Nebel und Gewitter nicht bloß in ihrer Beziehung auf den Menschen hin verstanden, sondern als Erscheinungsformen kosmischen Geschehens, dem eine uns übersteigende objektive Realität zukommt.

Unter dem Schleier der Schönheit wird also etwas anderes als das Landschaftsbild im herkömmlichen Sinn geboten. Es handelt sich hier nicht um eine wesenhaft auf den Menschen bezogene Schönheit, die ihren letzten Sinn vom Erlebnis des Menschen hier empfangen würde, wie etwa bei den Romantikern das persönliche Erlebnis der Landschaft oder bei den Impressionisten das Erlebnis des Auges Ausgangspunkt, Ziel und Erfüllung ihrer Kunst bedeutete.

Bei Pühringer wird der rein anthropozentrische Charakter des Naturerlebnisses überwunden; in seinen Bildern weist die Schönheit bewusst auf objektive, übermenschliche und überzeitliche Zusammenhänge; und aus dieser Polarität von Zeitlichkeit und Ewigkeit erfüllten sie sich mit eigenartiger innerer Dynamik.

Darum bleibt zum Beispiel im Bild der “Lärchenwald“ die frühlingshafte Lieblichkeit des Bergwaldes nicht im Erlebnis landschaftlicher Schönheit oder farblicher Visionen stecken; hier wird der Frühling zum Ausdruck der zarten Mächtigkeit der Zeugungskraft des Bodens im Angesicht der Ewigkeit der Berge und der Welt. Trotz aller Lieblichkeit der Erscheinung versetzt uns das geheime Ordnungsgefüge dieses Bergwaldes, dass eine Verwandtschaft zu Hodler ahnen lässt, über das Hier und Jetzt des Erlebnisses hinaus in den größeren Zusammenhang ewigen Seins und Werdens, das  aus dem Boden uralter Landschaft steigt, die selbst im Rhythmus der Neuronen eingebettet ruht.

In einem anderen Bild wieder weitet sich das Erlebnis des Lichtes und der Sonne zum Erlebnis des unendlichen Stromes reifebringender Kraft, die uns vom Himmel kommt, oder zum Erlebnis des Sieges des Lichtes über das dunkle Drängen der Natur. All das wird uns nicht als Gedankenbild in einer Abstraktion vor Augen geführt, sondern in der konkret erlebten Landschaft, die bis ins Detail der Geländebildung und ihrer farbigen Erscheinung in Licht und Atmosphäre vor uns entsteht.

Die Landschaft als Kunstgattung erhält hier also vom Geistigen her einen neuen Sinn, der ihre Aussage der Art erweitert und vertieft, dass nicht mehr von einer Landschaftsmalerei im Sinne der Kunst des 19. Jahrhunderts gesprochen werden kann. Vielmehr ist Pühringers Werk Ausdruck des neuen, objektive Ordnungen anerkennenden Welterlebnisses, dass sich seit der Jahrhundertwende langsam und unter Qualen zu formen beginnt, und dem auch ein neues objektiveres Naturerlebnis entspricht. Pühringer stellt uns damit vor eine neue künstlerische Realität, die nicht in überkommene Kategorien einzureihen ist. Die leichte äußere Schaubarkeit der Bilder darf also nicht über ihren schwer erschließbaren geistigen Gehalt hinwegtäuschen, der erst nach längerer Einfühlung zutage tritt. Denn der äußeren, malerischen Erscheinung nach tritt auch diese Kunst – wie der Großteil der modernen Malerei – das Erbe der Impressionisten an, nämlich das nebeneinander stellen und platzieren ungebrochener Farbwerte, die vom Auge zur Synthese des optischen Eindruckes verschmolzen werden. Während aber bei den Impressionisten die gegenständliche Welt im Farbeindruck von Licht und Atmosphäre zerflimmert, dass seinshaft gegenständliche im Farblichen zerrinnt, bleibt bei Pühringer Farbe, Licht und Atmosphäre trotz all ihrer Intensität das Medium, durch das hier zur Anschauung der Welt gelangen. Die Farbe bleibt Eigenschaft der Dinge und auch der Atmosphäre und wird nie Selbstzweck der Gestaltung. Im Gegensatz zur impressionistischen Erfahrungsweise fügt sich also das Farberlebnis in das Erlebnis der Realität der Welt, die als seinsmäßig letzte Gegebenheit aller Flucht der Erscheinungen zugrunde liegt. Pühringer bejaht dabei die Farbe voll und ganz; sie leuchtet und glüht in manchen seiner Bilder mit expressionistischer Unmittelbarkeit oder sie verschwebt – subtile Impression geworden – als goldig grünes Licht auf fernen Bergesmatten, die die letzte Sonne trifft. Doch die volle sinnliche Realisierung des Lichtes und der Farbe dient nur dazu, die Landschaft zwar in der Erscheinungsform des Augenblickes, aber in ihrem objektiven Sein, wie sie im Walten der Naturgesetze seit Jahrtausenden geworden und unserer Erkenntnis fassbar ist, zu bilden. Auch von dieser Seite her ist die weit gespannte, polare Erlebnisweise festzustellen, die das konkret sinnliche des Augenblickes und das zeitlose der Realität, der Dauer und des Währens künstlerisch zu voller Einheit zu verwirklichen versteht.

Diese Synthese wird durch eine eigenartige Zusammenschau der räumlichen und farblichen Gestaltung der Dinge ermöglicht. Während nämlich die klassische Kunst die dingliche Welt primär in ihrer räumlichen Wirklichkeit erfasste und sie nur sekundär mit Farbe als einer ihrer Eigenschaften versah, gibt es für den Impressionismus räumliche Wirklichkeit an sich überhaupt nicht, sondern nur noch den unmittelbaren Farbeindruck, dessen zufälliges Nebenprodukt auch die optisch-räumliche Erscheinung wird. Somit bilden räumliche und farbliche Gestaltung sowohl für die klassische Kunst als auch für den Impressionismus keine notwendige innere Einheit. Anders bei Pühringer: auch hier ist die Farbe Eigenschaft der Dinge; es bestehen aber nicht die Dinge an sich, wobei ihre farbliche Erscheinung nur eine zufällige Beschaffenheit bedeuten würde, sondern die Farbe fließt aus dem Wesen der Dinge, gehört wesenhaft zu ihrer Erscheinungsform; dingliche Welt und farbliche Erscheinung stehen in einem kausalen und funktionellen Zusammenhang und sind nicht zu trennen.

Formal wird diese Synthese durch die doppelte Funktion der Linie im Bildaufbau erreicht. Pühringer malt durchwegs mit feinstem Pinsel und dementsprechend kurzem Strich, und jedem dieser Striche kommt neben der farblichen auch eine lineare Bedeutung zu. Durch Nebeneinander stellen und Lasieren dieser bisher kleinsten farbigen Linien werden die plastischen Formwerte der Landschaft gleichzeitig aus ihrer malerisch farblichen Erscheinung heraus modelliert. Ein und die selbe formgebende Linie ist also gleichzeitig Grundelement der räumlich plastischen wie auch der farblichen Erscheinung von Licht, Luft und Atmosphäre. Dabei ordnet sich jeder Pinselstrich dem strukturellen Bildaufbau ein und wird dadurch selbst zum Träger des Ordnungsgefüges im Bildganzen. Andererseits wird es dadurch möglich, dass die Bilder trotz einer geradezu wissenschaftlichen Naturtreue in der Wiedergabe der einzelnen Landschaftsformen doch die volle malerische Wirklichkeit der transitorisch optischen Erscheinung erhalten.

Ebenso wie im Mikrokosmos kommt der Linie auch in der Gesamterscheinung der Bilder größte Bedeutung zu und wird hier zu einem ausschlaggebenden kompositionellen Faktor der Bildgestaltung. Die Linie wirkt hier einerseits als bildimmanenter Rhythmus, der die einzelnen Bildteile zur Einheit fügt, in dem er das Auge mit geheimer Kraft über die empfundenen Bildformen gleiten lässt; andererseits verstärkt sich dieser rhythmische Charakter der Linie auch zu energiegeladener Dynamik; die Linie erfüllt sich dann immer mehr mit innerer Spannung; sie leitet uns nicht mehr mit stiller Hand, ihre angespannte Kraft reißt uns durch das Bild. Diese teils  rhythmische, teils dynamische Kraft der Linie wird besonders im Bilde “Die große Landschaft“ deutlich: während sich die hohen Bergesrücken, die mit schweren Schultern auf der Landschaft ruhen, in gelöstem Rhythmus vor unserem Blick entfalten, wird die an sich so stille Ebene zum spannungsgeladenen Kraftfeld der in verschiedenen dynamischen Linienführungen aufgebauten Landschaftsglieder. Links ist die Straße, die das Auge wie ein Pfeil in leicht gespanntem Bogen in die Ferne zieht; von rechts her reißen im Gegenschwunge die im Gleichmaß tiefgefurchten Reihen des Ackers unsere Blicke in die Tiefe. Bewegung und Gegenbewegung werden organisch von Baumreihen und Heureitern ( die die Bewegungsrichtungen begleiten) aufgenommen und vertieft.

Dabei halten sich die Kräfte dieser Bewegungsrichtungen so die Waage, dass sie in einer Art kraftgespannter Ruhe ihr harmonisches Gleichgewicht und ihren Ausgleich finden. Nach dem Gesagten erhalten hier Harmonie und Ruhe aber einen dynamischen Charakter; sie haben nichts von bürgerlicher Ruhe an sich und sind erfüllt von Kräften, die irgendwie in den Bereich des Ethischen hinüber weisen. Es ist eine kosmische Ruhe und Harmonie, in die die Kräftebeziehungen und Spannungen der Natur als zur Harmonie gehörig einbezogen sind. Dieser innere kosmische Bezug der Bilder ist es, durch den sie trotz ihrer konservativen malerischen Gestaltung in neue geistige Räume zu führen scheinen.

Dem tiefsten Wesen der Harmonie entsprechend erwecken die Landschaften Pühringers also den Eindruck, nicht für sich zu stehen, sondern teil zu haben an einem großen Ganzen, am Kosmos. Das All mit seiner Gesetzlichkeit und Weite strömt in die Landschaft und prägt ihr seine Seinsform ein. Und weiter entstehen die Landschaften nicht nur in ihrem gegenwärtigen Sein, auch ihre Geschichte, ihr Gewordensein und damit das Element der Zeit geht in sie ein. So wächst “Der Berg“  klar überschaubar aus dem besonnten Tal bis zu den Wolken auf; mit seinen grünen Matten steht er noch im Bereich der Jahreszeiten, in der Region der Fruchtbarkeit, die in den wetterharten höheren Schichten schwindend, schließlich im nackten Felsen endet; dort scheint die Zeit schon still zu gehen und das mächtige Berggebilde steht als ein Produkt der Jahrtausende vor uns. Wind, Wetter und Gezeiten, die Kraft der Sonne des Eises und des Wassers haben im steten Wirken aus dem Urmassiv die heutige Gestalt gebildet. Jede Bodenform und jede Geländefalte, Schründe und Risse sind das Ergebnis dieser unablässigen Einwirkung vielfältiger Naturkräfte auf das Massiv des Berges, durch die sich in gleicher Weise die Natur des Berges selbst enthüllt: wo er weicher gewesen und den Wassern ein Bett gelassen, wo er vom Eis der Urzeit sanft gerundet worden, aber auch, wo er den Wettern trotzend sich erst im Fels behaupten konnte.

So wird in diesen Bildern durch Einfühlung in die in der Natur wirkenden kosmischen Gegebenheiten, die durch höheres Geheimnis in gleicher Weise Kräfte der Beharrung wie auch Kräfte des steten Flusses der Veränderung enthalten, in durchaus neuartiger Weise auch die Geschichte dieser Auseinandersetzung der Naturkräfte mit der inneren Gestalt der Landschaft lebendig. Die Landschaft wird also in den Bildern Pühringers geschichtliches Ereignis, indem er sie in einem objektiven, gleichsam wissenschaftlich statischem aber gleichzeitig entwicklungsmäßig dynamischen Sinn bis ins Detail ihrer morphologischen Struktur gestaltet und so das Wirken der Naturkräfte an einem Stück der Erde sichtbar werden lässt. Die Landschaft wird damit zum künstlerischen Ausdruck der die Natur durchwaltenden Kräfte und Gesetze, sie wird ein Spiegel von Gottes Schöpferkraft und erhält über ihrem individuell gegenwärtigen Charakter die Bedeutung eines Symbols und Abbildes der tieferen Seinsgesetze, aus denen die Natur ihr Dasein und ihr Wirken schöpft. Darum sagt auch Jenny in seiner Besprechung der Linzer-Ausstellung, daß wir den Landschaften Pühringers “das Wesenhafte, das Bildungsgesetz, das allen ähnlichen Erscheinungen zugrunde liegt“ erschauen, und er fügt, Pühringers Kunst charakterisierend, das Goethe-Wort hinzu: “Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen.“ In der Fähigkeit, die Landschaft in dieser Weise aufzufassen liegt die geistige Bedeutsamkeit der Kunst Pühringers, die bei ihm wieder echten Symbolcharakter erhält, indem sie Veranschaulichung transzendenter, über-menschlicher Gegebenheiten wird.

Dieser Symbolcharakter der Landschaften wird noch dadurch deutlicher, dass sie nicht den Eindruck eines beliebig vertauschbaren Naturausschnittes erwecken, sondern einen wesenhaften Blick in die Natur vermitteln; denn Pühringer versteht es, ein bestimmtes Landschaftsbild z.B. eines Bergwaldes oder Ackerlandes in seiner typischen Erscheinung darzustellen, indem er das unwägbar Charakteristische daran sichtbar werden lässt.

Auf diese Weise wird jede Landschaft über das Zufällige hinaus zum Urbild einer Daseinsform, indem die tausendfältigen Erscheinungsweisen einer Landschaftsform ihrem Typus, sozusagen ihrer Schöpfungsidee nach, konkret naturnaher Darstellung wieder erschaffen werden. Die über das zufällig Konkrete hinausgehende Realität verleiht den Bildern Pühringers eine innere Monumentalität und ihre Benennung als “Der Strom“, “Der Berg“, “Das Land“ weisen durch die Allgemeinheit dieser Bezeichnung treffend auf ihren individuell urbildhaften Charakter hin. Mensch und Getier, die schon das Siegel des individuellen und damit im tieferen Sinne des Vergänglichen an sich tragen, sind in den Bildern Pühringers nicht zu finden, denn sie würden den Rahmen dieses Naturgefühles sprengen. Lediglich das überindividuelle Zeugnis der Kulturleistung, Feld, Wiese, Acker und Haus zeigen die Bezogenheit der Landschaft auf den Menschen an und stellen zugleich das Vergängliche dem Dauernden gegenüber. So werden wir bei der Betrachtung dieser Bilder in größere Zusammenhänge einbezogen, die uns trotz des Erlebnisses des Schönen über uns hinaus auf höhere Gegebenheiten weisen.

Pühringer geht also von einem stark geistig betonten Naturerlebnis aus, dem eine tiefere Erkenntnis der Natur zugrunde liegt. Zwar hatte schon Cézanne im Ringen um die Erneuerung der Kunst die Erkenntnis als eine wesentliche Voraussetzung der Gestaltung angesehen und meinte deshalb, um einen Berg richtig malen zu können, müsste er zuerst dessen geologische Struktur kennen; doch dient bei ihm die Erkenntnis der Welt mehr dazu, in ihm einen Rausch adäquater farbiger Visionen hervorzurufen, den er zu einer symbolkräftigen Mystik der Farbe vertiefte; dagegen wird bei Pühringer die Erkenntnis aus einer asketisch ehrfürchtigen Haltung der Natur gegenüber zum Ausgangspunkt des Ringens um die Struktur der Welt, zur ehrfürchtigen Handlung im Prozess der Wiedererschaffung des Kosmos im Kunstwerk, zu einer Form des Gottesdienstes. Und während bei Hodler Tektonik und strenge Form nahezu ein abstraktes Bildgesetz bedeuten, dass der konkreten Erscheinung auferlegt wird, erwächst Tektonik und Form bei Pühringer organisch aus der Erkenntnis und Einfühlung in den Aufbau der Natur.

Wir sehen also, dass sich bei Pühringer – wie oben angedeutet – eine neue objektive Haltung der Natur gegenüber durchsetzt, die sich bemüht, auch in der Landschaftsmalerei die künstlerischen Prinzipien der Gestaltung aus den Gegebenheiten der Natur selbst abzuleiten, in dem sich der Künstler bewusst diesen Gegebenheiten einordnet und versucht, unter Verzicht auf die Eigenwilligkeit des Ich die Gestaltungsgesetze der Natur aus sich selber sprechen zu lassen.

Die Bedeutung dieser Objektivierung ist nur richtig einzuschätzen, wenn man sich die geistige Situation der Malerei der letzten Menschenalter vor Augen hält. Wir haben in dieser Zeit immer mehr vergessen, dass die Urfunktion der Kunst eine sakrale ist, dass sie aus dem kultischen stammt und der Rückverbindung des Menschen mit dem Über-Natürlichen, der re-ligio dient; damit erfüllt sie aber auch eine soziale Funktion, in dem sie die Menschen durch die Darstellung allgemein gültiger Symbole und kollektiver Erlebnisinhalte um eine gemeinsame Idee, ein gemeinsames geistiges Zentrum eint und sie damit untereinander in einen tieferen geistigen Lebenszusammenhang bringt. Diese sakrale und soziale Funktion der Kunst ging in Europa im Zuge der allgemeinen Säkularisierung des Geistigen mehr und mehr verloren, bis sie in der Genremalerei des 19. Jahrhunderts, der geistig gesehen auch der Impressionismus als Genrekunst des Sensualismus nicht allzu ferne steht, zu einer bloß ästhetischen Funktion “Schmücke dein Heim“ herabsank. Denn in den geistig führenden Kreisen des 19. Jahrhunderts “eine die ganze Gesellschaft tragende und verbindende Überzeugung, die bestimmte Werte und Forderungen aufstellte und damit dem Schaffen seine Richtung gibt, nur noch im Sinne von Modeströmungen“ vorhanden war (O. Fischer), wurde die Kunst ihres überindividuellen Gehaltes mehr und mehr entkleidet, bis sie zu einer im wesentlichen bloß privaten, subjektiven und ästhetischen Angelegenheit des guten Geschmackes herabsank. Dieser Verfall der geistigen Ursubstanz der abendländischen Kunst ist rein äußerlich am Wechsel ihrer Thematik zu erkennen. Der Weg geht da eindeutig von der Kreuzigung des Grünewald zu einem “Kochtopf mit Zwiebeln“ oder einem “Effet de vent“ um die Wende des 20. Jahrhunderts. So ist die Kunst des Abendlandes geistig gesehen in der bürgerlichen Gefühlswelt des Alltages bzw. in der Empfindung des Augenblickes versandet. Endlich aber wurde diese noch durch die Tradition gehaltene Geistes- und Empfindungswelt durch die geistigen, politischen und sozialen Erschütterungen der letzten 50 Jahre hinweggefegt und der Durchschnitt steht heute innerlich richtungslos vor einem Chaos, dass uns die Kunst der jüngsten “Ismen“ deutlich genug vor Augen führt. Noch ist es nicht endgültig entschieden, ob wir den verborgenen Gott suchen oder uns dem offenen Nichts in die Arme werfen werden. Jedenfalls hat die Mehrzahl von uns den Glauben an das Übermenschliche und damit den Sinn für transzendente Realitäten und die Hierarchie der Werte verloren. Das ist die durchschnittliche geistige Situation des heutigen Menschen, der abgesehen von wenigen Ausnahmen, der Malerei unserer Tage entspricht. Denn so geschmackvoll, problematisch oder auch aufwühlend sie sein mag, so wenig führt sie uns an den Urgrund des Seins heran; sie gibt uns keine Antwort auf unsere Frage an Gott und die Welt; sie weist uns keine Richtung, zeigt uns keinen Sinn und gibt auch keine positive Deutung der Welt, sondern bloß die Darstellung des Chaos, der Sinnverlorenheit oder bestenfalls das Zeugnis eines kultivierten Geschmackes. In dieser Situation wirken die Bilder Pühringers wie der Anruf aus einer Welt, die die Wohltat kennt, aus einem ewigen Gesetz heraus zu leben; und wir spüren, dass auch unser Wesen in diese Ordnung einbezogen ist.

Durchschnittlich aber stehen wir angesichts des Versagens aller nachimpressionistischen Richtungen noch vor der Tatsache, dass weitaus der größte Teil der heutigen Malerei von den bereits 70 Jahre alten Errungenschaften des Impressionismus mit seinem Kult differenzierter Sinnlichkeit zehrt. Die Maler werden dabei noch immer nicht gewahr, dass die einst helle Quelle des impressionistischen Lichtes, die in die damals bereits schal und unwahrhaft gewordene Welt des Klassizismus neues Leben brachte, heute selbst schon wieder schal geworden ist, d.h., nicht mehr dem Anliegen der Zeit entspricht. Neben dieser geistig steril gewordenen Quelle stehen in den verschiedenen “Ismen“ ebensoviele Versuche der Kunst eine neue Grundlage und Daseinsberechtigung zu verschaffen. Alle diese Versuche scheiterten und blieben Modeströmungen, da sie nicht zur transzendenten geistigen Realität der Welt vordrangen, sondern einen der möglichen weltimmanenten Blickpunkte als autonomen Wert zur Grundlage einer neuen Kunst zu machen suchten. Darum  überlebte sich auch der Expressionismus, die geistig fruchtbarste dieser Richtungen, in kurzer Zeit, da er Schmerz und Tragik der Einzelseele nicht in fruchtbare Beziehung zur Welt und zu Gott zu setzen verstand. Denn die Tragik des expressionistischen Menschen liegt ja in seiner Ich-bezogenen Gottesverlorenheit, die auch dort fühlbar wird, wo ein Gottsucher in den Farben wühlt. Ebenso lief sich der Kubismus tot, der dem durch den Expressionismus eingeleitenden Weg ins Chaos durch Zurückführung der Erscheinung auf abstrakte geometrische Gebilde Halt zu gebieten suchte und in der abstrakten, strengen Form eine neue Grundlage künstlerischer Welterkenntnis zu finden hoffte. Dadaismus und Surrealismus, die das Untergründige und Unbewußte und damit sittlich gesehen das Unwertige zum Ausgangspunkt ihrer Bestrebungen machten, mussten schon aus diesem Grunde im Ringen um eine neue Kunst ohne zeugende Lebenskraft bleiben.

Was hat uns also all diese Kunst zu geben, in der die Künstler nur sich selbst verpflichtet sind; eine Kunst, die ausschließlich um ihrer selbst willen da ist oder die Untergründigkeit und Dämonie des Lebens zu gestalten sucht, ihr aber richtungslos preisgegeben ist? Es soll damit über den rein künstlerischen Wert dieser Leistungen nicht geurteilt werden. Aber können wir es uns heute, da wir vor Lebensentscheidungen stehen, leisten, ästhetische Genüsse um ihrer selbst willen zu suchen? Nur die Kunst ist lebensfördernd, die auch unser Ethos stärkt. Wir sind hinausgetreten aus der Welt des 19. Jahrhunderts, aus dieser Welt des scheinbar sicheren Besitzes und des Fortschrittes, die das All als causa sui und rational erfassbares Räderwerk betrachtete; aus dieser Welt des “laisses faire“ mit ihrem Optimismus, der die Sünde nicht mehr kannte; wir sind dagegen eingetreten in eine Welt des Suchens und des Ringens, in der das l’art pour l’art des 19. Jahrhunderts keinen Platz mehr hat; wir stehen in einer Welt die dem “Sacre egoisme“ die freigewollte Bindung und Verpflichtung gegenüber stellt. Das ist die Situation der Zeit, die in ihren besten Kräften nach neuen Dimensionen sucht, aus denen heraus die Ganzheit des Menschen wiederherzustellen ist. Die Richtung, in der diese neue Ganzheit gefunden werden wird, wurde vor allem auch durch die Erkenntnisse der Physik, der Chemie, Biologie und Psychologie gewiesen, die den Geisteswissenschaften eine neue reale Grundlage zur Verfügung stellten. Denn alle diese Wissenschaften führen von ihren so verschiedenen Ausgangspunkten zu einem gemeinsamen neuen Ergebnis, dass in kurzen Worten zu fassen noch nicht möglich ist. Jedenfalls führen Sie zu einem Welterlebnis, in dem das Mysterium wieder seinen Platz erhält, und als letzte Bausteine der Welt postulieren sie geistige Potenzen, die einer geistigen Schöpferkraft und Ordnungsmacht bedürfen. Dieses neues Welterlebnis wird in immer stärkerem Maße in die Breite dringen und ein neues Lebensgefühl des ein Eingeerdnetseins in höhere Ordnungen und Bezüge entstehen lassen; es wird nicht nur den Einzelmenschen, sondern auch die Gemeinschaft der Menschen als verpflichtende Liebesgemeinschaft erleben; es wird vor allem darum die Gemeinschaft vor Augen haben, weil es von der kindlich und bewussten Verehrung Gottes zur tieferen Erkenntnis seiner Ordnung vorgedrungen das Ordnungsgefüge der Welt bewusster erleben wird. Der Mensch wird daher nicht wie bisher das Maß der Dinge sein und dementsprechend wird auch die Kunst nicht mehr primär vom Menschen, sondern vom Erlebnis dieser höheren Ordnungen ausgehen.

In den Bildern Pühringers scheint etwas von diesem neuen Lebensgefühl wirklich geworden zu sein und das gibt ihnen ihre Bedeutung. Wir möchten vor ihnen ausrufen: endlich wieder Raum! Der Raum als transparente Wirklichkeit und Macht; nicht mehr der Raum als Bühne raffinierter Farbenspielereien, als Bühne bürgerlichen Alltags oder untermenschlicher Begebenheit. Hier ist der Raum ein Stück des Kosmos; wir durchschreiten ihn zwar im “Hier und Jetzt“, wir bleiben dabei aber stets im Angesicht der Ewigkeit des Alls und der Unendlichkeit. Hier sind “im Sichtbaren alle Hinweise auf den unsichtbaren Plan“ (E. Jünger) und das selbe meint Pühringer mit seinem Ausspruch: “Der Blick kommt von der Ewigkeit und geht in ihr zurück.“ das ist die geistige Grundhaltung seiner Kunst, die ihre Aussage für jeden wesentlich macht, der um die Gestaltung unseres Lebens ringt. Das persönliche Erlebnis tritt hier in den Dienst des kosmischen Erlebnisses, dass eine Wesensschau der Welt und die Einordnung der Dinge in das grosse Ganze der Natur erstrebt. Es ist dabei aber keine Spur eines pathetischen Naturerlebnisses des sich selbst entwickelnden ewigen Schöpfergeistes zu bemerken; nein, es ist das Erlebnis eines gesatzten Ordnungsgefüges, das sich in der Bildung der Wolken ebenso manifestiert wie in der Gestalt des Berges oder der Form des Grases, ja selbst das Subjektivste, Licht und Atmosphäre sind nicht bloß Ausdruck einer Stimmung oder eines Farberlebnisses, sondern dingliche Erscheinungsformen im Laufe der Gezeiten. Die Bilder gehen also nicht mehr von Stimmung und Gefühl des Einzelnen aus, sondern sie gehen aus von der Einfühlung des Menschen in die Natur und ihre Ordnung. Ist die Kunst seit der späten Gotik immer Ich-bezogener geworden, so tritt uns hier wieder die Beziehung auf die Schöpfung und auf den Schöpfer hin entgegen. Es ist allerdings noch nicht der persönliche Gott, dem wir in diesen Bildern begegnen, aber es ist die Schöpfermacht; es ist die postulierte geistige Ursubstanz als Quelle aller Schöpferkraft, die geistige Substanz als letzte Ursache des Alls. Damit hat sich Pühringer unseres Wissens als einer der ersten Künstler in den geistigen Strom der Zeit gestellt, der allein fähig ist, nach tausend qualvollen Versuchen, nach Mühen und Irren doch in die Zukunft zu geleiten, um deren Fruchtbarkeit wir uns bemühen.

Es wäre erfreulich wenn auch andere Aussteller dem Publikum die Möglichkeit geben würden, sich mit diesen Bildern auseinanderzusetzen.

Dr. Gerhard Hoffmann

ca. 1949