Rudolf Pühringer malte Landschaften. Aber die Natur, sagte mir seine Tochter, sei nicht sein wirkliches Sujet. Die Natur bekleidet Unsichtbares – so etwas vielleicht wie eine Frage, eine Sehnsucht, eine Sichtweise, oder eine Art Reise? – dessen Geschichte die Landschaft komponiert.
Die Beschäftigungen des Tages sind vollendet, ein Zaun errichtet, Üppigkeiten geerntet (der Zaun, unbedeutsam gegen die prachtvolle Berglandschaft, wirft aber, seiner Unbedeutsamkeit nicht bewußt, seinen Schatten wie ein Schaf oder ein Baum), und alles ist nach Hause gegangen. Oder die Tagesbeschäftigungen liegen ihnen davor, und alles schlummert noch. Sie sind jedoch in ihrem erdbildhauenden Heuhandwerk zu ahnen (aber bei den Ruinen, wo sie nichts mehr zu tun haben, haben Menschen unbeteiligt freien Lauf).
Wer ist aber der unsichtbare Wahrnehmende des letzten oder des ersten Tageslichtes? Ein Einsamer, ein Wanderer. So einer wie Du, ein Zuschauer von Landschaften. Seine Tageszeit ist die Vordämmerung, seine Jahreszeit der Spätsommer. Was er für den Augenblick im Blickfang umrahmt, das ist sein Gut. Wie sieht’s aus? Seien wir ganz altmodisch, und fangen wir von vorne an.
Vor den Füßen liegt das letzte Grün. Im Mittelgrund hat es sich schon in gelb und rotbraun verwandelt. Wie das Grün anfängt genauso wie es verschwindet – immer noch fragt man nach dem unbeantwortbaren ãWie“? Das Geheimnis des Schönen kann nicht gelöst, sondern nur geliebt werden. Mit einem An- und Übereinanderlegen purer Farben wird jedes Blatt und jeder Halm vom malenden Liebenden gewürdigt.
Ein einfacher Weg (Verhellung, Verdunkelung, Pfad oder Fluß) spaltet die Landschaft und bindet sie zusammen, die weite Ferne an das Hier. Beruhigend bietet er Bewegung an. Durch das harmonisierende Hindurchschlängeln des Weges flitzt der Blick nicht auf der Suche nach Hinausragendem hin und her, sondern breitet sich über das Ganze hinaus, wobei man ins Herz des Bildes gezogen wird. Aber man befindet sich an keinem Ort, sondern in der Ruhe.
Der Weg ist zugleich ein Innen- und- Ausweg. Das Ende ist kein Ende, sondern eine Öffnung, ein Auflösen ins Licht. Seine Offenheit breitet sich um und über die Berge hinaus, die dadurch Verborgenheit statt Verschlossenheit anbieten.
Nur in „Paneveggio“ wird ein blockierender Baum in der Mitte festgepflanzt. Es war des Malers letztes Bild.
Diane Shooman